Sonntag, 23. Juni 2013

Kommunikation vs. Konditionierung


Kommunikation vs. Konditionierung – oder: Über das unreflektierte Verwenden von Begrifflichkeiten

In unserer bunten Hundewelt gibt es einen „Zug“, auf dem viele Hundeschulen und Hundetrainer fahren und immer mehr aufspringen.  Auch viele Hundehalter sitzen schon drauf und täglich werden es mehr. Das, was in großen Buchstaben auf diesem Zug geschrieben steht, hört sich zunächst toll an und ist ein werbewirksamer Slogan, der wirkliches Verständnis und Einfühlungsvermögen im Umgang mit Hunden suggeriert oder suggerieren soll – sei es in der „normalen“ Hundeerziehung, oder in der Behandlung von unerwünschtem Hundeverhalten, sogenanntem „Problemverhalten“. Der Slogan heißt:

Konditionierst Du noch, oder kommunizierst Du schon…oder so ähnlich.

Bei genauerer Betrachtungsweise offenbart sich allerdings, dass bei der interspezifischen Kommunikation (also der artübergreifenden Kommunikation – hier zwischen Hund und Mensch) eigentlich nichts anderes passiert, als das zu einem Großteil Konditionierung stattfindet.

Hunden ist die Fähigkeit, menschliches Verhalten in bestimmten Situationen mit bestimmten Konsequenzen zu verknüpfen angeboren – darin sind sie sogar Meister. Scheinbar gibt es sie auch wirklich, die artübergreifende analoge Kommunikation, die Hunde verstehen, ohne dass vorher ein Lernprozess stattgefunden hat, wie Adam Miklosi mit seinen Zeigeversuchen bewiesen hat. Dabei wählten selbst Welpen, die vorher keine Lernerfahrungen in Verbindung mit Zeigegesten gemacht hatten bei der Präsentation zweier umgedrehter  Becher von denen einer mit Futter präpariert war mehrheitlich den Becher aus, auf den ein Mensch deutete – auch wenn sich unter diesem das Futter NICHT befand. Sobald man aber diesen Versuch mehrfach mit dem selben Hund durchführen, und ihm immer den falschen Becher zeigen , oder sogar etwas unangenehmes unter den gezeigten Becher legen würde, ist davon auszugehen, dass Lernen einsetzt und er nach einiger Zeit den nicht gezeigten Becher bevorzugt. Selbst artübergreifende Kommunikation, deren Informationsgehalt angeboren ist, verändert sich durch Lerneffekte. Wie man sieht, beinhaltet Kommunikation zwischen Mensch und Hund fast immer Konditionierung / Lernen  und auch unter Hunden werden kommunikative Verhaltensweisen durch Lernerfahrungen herausgearbeitet.


Was ist aber nun wirklich gemeint, wenn der oben genannte Slogan propagiert wird?


Interspezifische (artübergreifende)  Kommunikationselemente entstehen also zum großen Teil aus lernbedingter Verknüpfung  von Aktionen, Situationen und Übung. Das bedeutet, dass man über tiergerechte Konditionierung, die selbst kleine Gesten und Verhaltensweisen von bestimmten neuen Bedingungen abhängig werden lässt eine Basis für die Hund – Mensch – Kommunikation schaffen kann (Vornehmlich über operante Konditionierung). Der Mensch hat also eine Fülle von Möglichkeiten, Verhalten des Hundes gezielt zu variieren, indem bestimmte Spontanhandlungen mit neuen Folgen (Lob, Verstärkung oder Korrektur) assoziiert werden. Hunde müssen herausfinden können, welche Vorkommnisse verlässliche Konsequenzen hervorrufen. Ein guter Weg, dies zu lernen ist der Weg des assoziativen Lernens. Die Verständigung über optische, akustische oder taktile Hilfen entwickelt sich nicht ohne das Lenken des Menschen, das letztlich seinen Ausdruck in der Korrektur, Verstärkung, oder Unterweisung des Tieres allein durch kleine Bewegungen, Stimmmodulationen und bestimmte mimische oder körperliche Signale findet. Der Mensch muss wieder lernen, seine Ausdrucksmöglichkeiten, auf die Hunde so oder so achten, gezielt mit bestimmten Reizen und sozialen Situationen zu assoziieren, so dass Hunde in unserem Sinne zuordnen können, was sie für sie bedeuten sollen.

Die hundliche Lernmotivation leitet sich vornehmlich von deren Bindungsbereitschaft an ihre soziale Gruppe her.

Unterbleibt das fachkundige Lenken dieser sozialen Lernprozesse durch den Menschen, ist das Entstehen von nicht gewünschtem – oder sogenannten „Problemverhalten“ - möglich, muss aber nicht zwingend stattfinden, denn (insbesondere heranwachsende) Hunde verändern ihr Verhalten als Folge individueller Erfahrung mit ihren Menschen so oder so. Etliche Verhaltensweisen, die später problematisch werden können, sind nichts anderes als erfahrungsbedingte Aktionen bzw. Reaktionen, die als positive Verstärkung oder erlerntes Vermeiden infolge von Fehlern des Hundehalters in bestimmten Situationen assoziiert wurden.

Eigentlich müsste der Slogan also heißen:

Bringst Du Deinem Hund nur Kunststückchen bei, oder hilft Du ihm dabei, wenn er versucht Dein Verhalten zu entschlüsseln und lenkst Eure Kommunikation durch hundgerechte Konditionierung in sinnvolle Bahnen?  …oder so ähnlich.

…zugegebenermaßen klingt das nicht so Vollmundig, trifft aber eher den Kern der Sache.

Ich denke über den ursprünglichen Slogan soll eine Abgrenzung angezeigt werden – eine Abgrenzung derer, die Kommunikation über ihr ganzheitliches Ausdrucksverhalten konditionieren,  versuchen, Hunde zu lesen und deren Ausdrucksverhalten zu entschlüsseln um entsprechend darauf zu reagieren, gegenüber denen, die ihren Hund meinen zu „erziehen“, indem sie ihm Kunststückchen beibringen und sein ganzes Hundeleben lang ausschließlich positiv verstärkend mit dem Futterbeutel hinter ihm herrennen. 

Eines ist gewiss: Auch die Hunde, derer, die zur Gruppe der Futterbeutelkonditionierer gehören versuchen mit ihren Menschen zu kommunizieren und tun dies auch.  Da liegt es doch nahe, ihnen dabei zu helfen, indem man sich ein wenig Wissen über ihre Ausdrucksweise aneignet und auf beiden Seiten – Mensch und Hund – Kommunikationslernen stattfinden lässt  ….  J.

Kommunikative Grüße,

Lennart

5 Kommentare:

  1. Hach, das klingt so viel verständlicher als alles, was ich sonst so gelesen habe über Kommunikation/Konditionierung :-)

    Kommunikation muss ja nicht automatisch wegfallen, nur weil man Tricks einübt - im Gegenteil wird der Trick nur dann funktionieren, wenn auch ein Kommunikationsfluss erfolgt ("Fein, so ist es richtig").

    Und ich denke inzwischen verstanden zu haben, dass Konditionierung keineswegs "das Böse" ist, und eben auch stattfindet, wenn man Klicker und Beutel zu Hause lässt.

    Die Hoffnung der "Kommunikatöre" ist doch vermutlich, dem Hund durch kognitives Lernen weiter zu helfen. Lobenswert, aber.. ist das so einfach zu trennen? Kann nicht das eine in das andere übergehen, und aus Konditionierung ein Verstehen entstehen?

    Fragen über Fragen... ;-)

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    1. Hi,

      vielen Dank, ich freue mich sehr, dass ich Dich erreichen konnte.

      Du hast Recht, wenn Du sagst, dass Kommunikation nicht wegfallen muss, wenn man Tricks einübt. Allerdings darf sich das Zusammenleben mit dem Hund meiner Meinung nach nicht darauf beschränken.

      Nehmen wir das Beispiel "Sitz":

      Ein Hund weiß nicht, was das Wort bedeutet und wenn wir es ihm gegenüber verlauten lassen, obwohl er es noch nie gehört, geschweige denn mit einer Handlung verknüpft hat, wird er uns maximal mit großen Augen ansehen.
      Evtl. wird er auch daraufhin etwas machen - aber eben irgendetwas. Sagen wir also "Sitz" und der Hund reagiert irgendwie, haben wir höchstens mit ihm interagiert, aber nicht kommuniziert.

      Nun benutzen wir Futter, um ihm über positive Bestätigung beizubringen, was wir von ihm verlangen, wenn wir "Sitz" sagen. Dies ist die Konditionierung, die zwischen Interaktion und Kommunikation geschaltet ist und aus dem einen (Interaktion) das andere (Kommunikation) werden lässt.

      Sagen wir nach dem Konditionierungsvorgang zu unserem Hund "sitz", wird er sich hinsetzen. Damit haben wir alles, was zur Kommunikation gehört: Einen Sender, ein Signal, das mit Information belegt ist, und einen Empfänger, der das Signal auf Grund vorheriger Konditionierungsmaßnahmen entschlüsseln kann und dementsprechend reagiert.


      Hundeerziehung muss für mich vorwiegend sozial freundlich geprägt sein, darf aber bei Bedarf auch aus sozialer Reibung bestehen. Und damit sind wir bei Lernvorgängen, die die umfassende Kommunikation zwischen Mensch und Hund erst möglich machen.
      Wenn mein Hund am Tisch betteln würde (was keiner von beiden macht), und ich das nicht wollte, würde ich ihm das freundlich aber unmissverständlich über mein Verhalten und evtl. meine Stimme spüren lassen. So hat er die Chance, die Situation "Essen auf dem Tisch" mit "mein Mensch möchte nicht, dass ich nah am Tisch bin" zu verknüpfen. Benutze ich dazu die gleichen Verhaltensweisen wie in anderen Situationen, in denen ich ein Unterlassen hervorrufen möchte, lernt der Hund etwas Weiteres: "Immer, wenn mein Mensch so ist, soll ich mit dem aufhören, was ich gerade mache".
      Bietet er dann situationsbedingt Verhaltensweisen an, die als Alternative lobenswert sind, kann ich diese belohnen und schon sollte das Ganze laufen.

      Mit dem oben beschriebenen Abbruchsignal kann ich dann wirklich kommunizieren - ich sage z.B. "lass das" und mein Hund weiß aus einigen Lernerfahrungen heraus, was ich damit meine und kann danach handeln.

      Und so entwickelt sich wie von Geisterhand situationsbedingte Kommunikation über Lernerfahrungen - guten wie weniger guten.

      Du siehst das ganz richtig: Konditionierung findet auch dann statt, wenn Klicker und Futterbeutel zu Hause bleiben, auch wenn das alles dann unbewußt von Statten geht.
      Machen wir Hundehalter uns das ein Wenig bewußter und lernen dazu noch unseren Hund zu lesen, sind die Weichen für eine gute und vertrauensvolle Beziehung gestellt.

      Und so siehst Du, dass aus Konditionierung / Lernen ein Verstehen (Kommunikation) entsteht. Dabei kann ich auf das Beibringen von Kunststückchen (Sitz, Platz, Bleib) verzichten um eine tolle Beziehung zu meinem Hund zu haben - nicht aber auf das Ausbilden einer interspezifischen Kommunikation über soziale Reibung, Bestätigung und somit wiederum über Konditionierung.

      Allerdings schaden Kunststückchen auch nicht. Auch sie können über gemeinsamen Erfolg und die damit verbundene tolle Stimmung dazu beitragen, dass sich die Beziehung positiv verfestigt.

      Viele Grüße,
      Lennart

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  2. Hallo Lennart,

    ja, ich konditioniere noch - aber ich versuche auch zu kommunizieren. ;-) Deine Schreibweise ist wirklich so, dass auch ich verstehe, wovon du sprichst. Verständlicher als viele Bücher, die ich dann doch nach einer Zeit weggelegt habe.

    Jetzt bin ich gespannt auf mehr von dir.

    Lieben Gruß
    Wolli

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    1. Hi Wolli,

      vielen lieben Dank für Deine Antwort und Deinen Zuspruch.

      Ich bemühe mich nach Zeit und Kräften immer mal weider ein Thema hier anzuschneiden - nur mit der Zeit ist das halt manchmal so eine Sache.... :-/

      Bis bald,
      Lennart

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  3. Ganz toller Artikel, sehr gut geschrieben! Gruß, Christian

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